Fallbeispiel Modelabel
Die Frühjahrskollektion für das nächste Jahr steht, die Modenschau war ein Erfolg. Gegen Ende der kreativen Phase wird es immer hektisch, das scheint zu Ernesto Pienzes Beruf zu gehören, seit er sein Modelabel „Bocco“ im Markt der Damenbekleidung positioniert. Die Waren liegen in einem mittleren Preissegment und werden weltweit über Boutiquen, Kaufhäuser und ausgewählte Flagship-Stores vermarktet. Das Unternehmen floriert und expandiert in neue Märkte und Produktgruppen.
Vor einigen Jahren hat Ernesto von einem Freund den Kontakt zu einem Full-Service-Logistiker bekommen, der seine Waren über das Web vermarktet. An der Idee gefiel ihm besonders, dass er nichts organisieren muss. Der Dienstleister macht alles für ihn. Er betreibt den Webshop, übernimmt das gesamte Marketing im Web und allen Online-Medien, kümmert sich um die Kundenakquisition, die Zahlungsabwicklung und das Forderungsmanagement. Er liefert die Waren aus und nimmt die Retouren an, schreibt Gutschriften oder Mahnungen und am Ende des Monats liefert der Logistiker das eingenommene Geld abzüglich einer Provision von 30%. Das hält Ernesto für angemessen und freut sich immer wieder über die Berichte und den Geldeingang. „Alles prima“, denkt er sich.
Sein Umsatz im Web nimmt von Jahr zu Jahr zu, sogar viel stärker als der Umsatz in seinen sonstigen Vertriebskanälen. Seit zwei Jahren geht der Umsatz insgesamt zurück ‒ das macht ihn stutzig, denn die Arbeitsbelastung ist im Unternehmen sogar angestiegen. Er bietet seine Ware in weiteren Boutiquen und Ketten von Kaufhäusern an; trotzdem schreibt er Verluste im gesamten Geschäft. Der Web-Dienstleister berichtet noch immer von ordentlichen Umsätzen und er schaut sich die Berichte einmal genauer an. Er will wissen, wie der Umsatz über den Logistiker zustande kommt. Sein Assistent Filipo macht eine Auswertung mit der Veränderung zum Vorjahr:
Ernesto hat ein mulmiges Gefühl. Er ist kein Zahlenmensch aber ein schlauer Kaufmann, also bittet er Filipo und einige Freundinnen darum, in dem Webshop einzukaufen und zu berichten, was sie für Erfahrungen machen. Das Ergebnis schmettert ihn nieder.
Der Webshop holt die Interessenten fast nur mit der bekannten Marke „Bocco“, bei Damenblusen oder modischen Accessoires ist er über die Werbung nicht zu finden. Das bedeutet, dass die Interessenten seine Marke schon kennen, Stammkunden sind und nicht wirklich neu akquiriert werden. Denn wer nach „Bocco“ sucht, weiß was er erwartet. Leider werden diese Erwartungen aber gänzlich enttäuscht.
Der Shop ist schlecht zu bedienen, die Suche funktioniert nicht, und der Warenkorb ist nicht auffindbar. Die Bilder der Kleider sind gut, aber leider stimmen die Preise nicht überall mit den beworbenen Preisen überein. Bei der Hotline läuft der Interessent auf ein Call-Center, die „Bocco“ eigentlich nicht kennen. Die meisten Interessenten springen dann wieder ab und behalten „Bocco“ außerdem noch in schlechter Erinnerung. Das verstärkt den schlechten Einfluss auf die Marke, die nun auch in den Boutiquen und Läden gemieden wird. Aus den Berichten geht das nicht hervor.
Jetzt wird Ernesto vieles klar. Bei einer kompletten Auslagerung seines Geschäftes lagert er auch die Qualität des Marketings aus. Der Dienstleister macht keine Analysen, welche Potenziale er hätte und nicht realisiert hat. Ernesto bekommt keine Rückmeldung über die verpassten Chancen und die Beschwerden der Kunden. Über mangelnde Qualität wird nicht berichtet.